Events, Persönlichkeiten & Geschichten

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Filmreif: Auf der Hochebene im Gebiet der «Weissen Arena» fehlt nur noch Winnetou auf Iltschi. Einige Pferde und Ponys aus Valendas haben sich hier mit Tieren anderer Besitzer zusammengetan und ziehen gemeinsam durch die präriehafte Bergwelt. (Bild: Diana Ulrich)

Geschenkte Freiheit – Altersweidebetrieb Valendas im Porträt

Die Altersweide Valendas wurde bereits 2 Mal - im 2018 und im 2022 - mit der Plakette «Der Gute Stall» ausgezeichnet

Auf den Bergweiden hoch über Laax GR verbringen gut fünfzig Pferde den Alpsommer: im Gebiet der «Weissen Arena» – dort, wo im Winter Schneesportler ihre Kurven ziehen. Der Grossteil der Tiere ist im Seniorenalter und stammt vom Alters­ weidebetrieb Valendas von Corina und Andi Brunner-Sprecher im Safiental GR.

Eben noch war der Himmel nachtschwarz. Nur ganz im Osten zog sich entlang des Horizonts ein helloranges Band, mit dem die dunklen Bergsilhouetten kontrastierten. Doch jetzt, kurz nachdem sich Nacht und Tag begegnet sind, ist die Welt hier oben in goldenes Licht getaucht, flimmert die Hochebene magisch in den ersten Sonnenstrahlen: ein entlegenes Fleckchen Erde, umrahmt von Felsflanken und Bergkuppen, auf deren Gipfeln noch Schnee liegt. Eine weite, baumlose Landschaft – grandios, archaisch und ergreifend schön. Und mittendrin in diesem kargen Paradies steht unverhofft eine Gruppe von Pferden. Die einen verharren, beobachten neugierig mit gespitzten Ohren, andere haben den Kopf gesenkt, fressenfriedlich. Nur in der Ferne ist ein Zaun zu sehen, der den Bewegungsradius der Tiere beschränkt, und da und dort ein paar Seilbahnmasten, welche die Ästhetik stören. Ansonsten einfach nur Weite, Berge, Kuhglockengebimmel und Murmeli, die laut rufen. Die Luft ist kühl, riecht würzig nach Kräutern und Viehtypisch nach Alp halt.

Wie einst die wilden Urahnen

Ein Sommermorgen auf einer hundertfünfzig Hektaren grossen Alp mitten im Bündner Schneesportgebiet «Weisse Arena» oberhalb Flims, Laax und Falera. Dort, wo im Winter Skifahrerinnen und Snowboarder die Pisten hinunterflitzen, werden auf den Hochplateaus und an den Berghängen von Juni bis September hundertdreissig Kühe und Jungvieh von verschiedenen Bauern sowie gut fünfzig Pferde gesömmert. Letztere stammen mehrheitlich vom Hof von Corina und Andi Brunner-Sprecher aus Valendas im nahen Safiental. Seit 2006 betreibt das Paar hier einen Altersweidebetrieb für Pferde- und Ponypensionäre. Im Gegensatz zu den Tieren in ähnlichen Institutionen in anderen Regionen der Schweiz verbringen die meisten der Rentner den Sommer auf der Alp. Fernab von Stall und täglicher Versorgung durch Menschen bestimmen sie drei Monate lang selber, mit welchen Artgenossen sie herumziehen – autonom wie einst ihre wilden Urahnen und auf der Suche nach Kräutern oder in tieferen Lagen nach saftigem Gras. Vielen Pferdebesitzerinnen und Pferdebesitzern ist es wichtig, ihren vierbeinigen Wegbegleitern am Ende des Lebens ein würdiges Gnadenbrot zu eben und ihnen auf diese Weise zu danken», erklärt Corina Brunner, 46. «Die alten oder wegen Arthrose frühpensionierten Tiere sollen diesen letzten Lebensabschnitt behütet von uns Menschen, aber pferdegerecht in der Herde verbringen und ein Stück Freiheit geschenkt bekommen. Da dies zu Hause meist unmöglich ist, entscheiden sich die Pferdebesitzer für einen ­ Altersbetrieb wie den unseren.» Mit der späten Freiheit können notabene nicht alle Tiere gut umgehen manchen wird es auf der Alp fast zu viel. «Je anspruchsloser eine Pony- oder Pferderasse ist, desto einfacher für das einzelne Tier, Tag und Nacht bei Wind und Wetter zurechtzukommen», ergänzt die Pferdefachfrau. Edel gezogene Grosspferde hätten manchmal Mühe, ihnen fehle der Schutz des Stalls, das gewohnte Futter, die Menschen. «Vor zwei Jahren musste ich meine eigene Traberstute vom Berg runterholen. Es stresste sie, herumzuziehen und nur Moos oder Kräuter zu fressen. Sie magerte stark ab.»

Spannende Charaktere

An diesem schönen Sommermorgen ist Corina Brunner früh zu den verschiedenen Pferdegruppen im weitläufigen Alpgebiet unterwegs. Sie und ihr Mann Andi, 44, besuchen die Schützlinge regelmässig. Diese werden zudem täglich von Alphirt Thomas Fürst kontrolliert, der im Sommer oben am Berg in einer einfachen Hütte lebt und auch für Kuhbesitzer nach dem Wohl der Tiere schaut. Behutsam tastet die Bündnerin die Beine der Pferde und Ponys ab, überprüft, ob sie fit und unverletzt sind. Bei Isländer Randalin entdeckt sie eine Wunde. «Wir holen sie später nach Hause, bis die Verletzung verheilt ist», sagt sie und greift daraufhin ins Maul von Shetlandpony Flea, das in der Nähe steht. Es hat mal wieder Moos und Gras in seinen Backen gehamstert, statt alles zu zermalmen und runterzuschlucken. «Wir müssen den Brei ab und zu rausklauben.» Den Pferden und Ponys hier fernab der Zivilisation zu begegnen und von ihren Charakteren und Eigenarten zu erfahren, ist spannend. Da ist etwa die charmante Leila – im wahrsten Sinn des Wortes eine Integrationsfigur. «Wenn ein neues Tier zu uns kommt, nimmt sie sich seiner gleich an und führt es in ihre Gruppe ein», erzählt Corina Brunner über die rund 20-jährige Shetlandponystute, die schon lange in Valendas lebt und im Sommer stets auf die Alp geht. «Als die Kinder zu gross wurden, um auf Leila zu reiten, entschieden sich ihre Besitzer, sie zu uns in Frühpension zu bringen. Sie haben in der Nähe eine Ferienwohnung und können Leila besuchen.» Berührend auch die Geschichte der Freundschaft von Ashaya und Frami. Die Shagya-Araber-Schimmelstute und der dunkelbraune Isländerwallach haben sich in Valendas gefunden und sind seither unzertrennlich. Lustigerweise war auch Ashayas früherer Stallgenosse ein dunkler Isländer. Er kam mit ihr auf den Altershof und tat sich hier mit einer anderen Schimmelstute zusammen. Pferde scheinen Vorlieben zu haben – wie wir. Auch von Katharina soll noch kurz berichtet werden. Die rangniedrige Shetty-Stute ist auf dem Betrieb unten im Tal oft launisch und zu Artgenossen und Menschen ganz schön «giftig». Auf der Alp indes scheint sie im Gleichgewicht mit sich und der Welt zu sein. «Zu erleben, wie Tiere auf ihre Weise Dankbarkeit ausdrücken, ist wunderschön», sagt Corina Brunner und erzählt, wie zum Beispiel Pferde mit schlechten Zähnen im Winter trotz Spezialmüsli einfach nicht zunehmen, auf der Alp aber plötzlich rundlich werden. «Hier haben sie halt vierundzwanzig Stunden Ruhe und die Möglichkeit zu fressen, wann sie wollen. Auch wenns nur Moos ist.»

Auszeichnung für gute Haltung

Jeweils im Juni bringen die Brunners dreissig bis vierzig Pferde und Ponys, die fit genug sind, auf eine Voralp auf 1800 Metern über Meer. Nach einem Monat ziehen diese zusammen mit Artgenossen von anderen Betrieben weiter bergwärts und danach in Gruppen frei herum. Vor allem die Isländer, die oft an durch Kriebelmücken verursachten Ekzemen leiden, zieht es bis hinauf auf 2500 Meter, denn so weit oben fliegen die Plaggeister nicht. Die freiheitliche Alpsömmerung ist klar das Herzstück der Pferdealtersweide Valendas. Aber auch in der übrigen Zeit steht die Lebensqualität der Pferde und Ponys im Zentrum. Auf dem Betrieb im Tal leben die Tiere ebenfalls in Gruppen – Ponys, Wallache und andere –, können soziale Bindungen pflegen und dank modernen Laufställen, Trockenplätzen und Weiden Auslauf geniessen. Und stets sind Corina und Andi Brunner für sie da, produzieren auf ihren Wiesen eigenes Heu, bereiten Futter zu, halten alles sauber, pflegen Fell und Hufe, versorgen kleine Bobos und rufen bei grösseren den Veterinär. Manchmal nehmen sie auch Notfälle aus dem Tierschutz auf und versuchen, den gebeutelten Tieren das Vertrauen in den Menschen zurückzugeben. Bei so viel Engagement erstaunt es nicht, dass der Altersweidebetrieb Valendas mit der Plakette «Der gute Stall», dem Schweizer Gütesiegel für beispielhafte Tierhaltung, ausgezeichnet wurde. Mit dem Pferdealtersheim haben sich Corina und Andi Brunner einen Lebenstraum erfüllt. Beide sind auf einem Bauernbetrieb und mit Pferden aufgewachsen, Corina im Prättigau, Andi auf dem elterlichen Hof mitten in Valendas. Ursprünglich absolvierten sie eine Ausbildung als Koch beziehungsweise als Forstwart, packten aber die Chance, auf familieneigenem Land ausserhalb des Dorfs einen Pferdebetrieb aufzubauen. «Es brauchte Energie», sagt Andi Brunner und fügt an, dass sie im Tal anfänglich ziemlich belächelt worden seien. Heute lebt das Paar mit den beiden Kindern Simon, 12, und Dario, 10, auf dem vierzehn Hektaren grossen Betrieb. In der Freizeit helfen die Buben gerne mit, am liebsten bei Arbeiten mit einem kleinen Traktor. Denn wie ihr Vater haben sie eine Passion für Maschinen. Ab und zu gefällt es ihnen aber auch, mit ihrer Mutter mit den eigenen Traberpferden auszureiten.

Der schönste Lohn

Um die fünfzig Equiden betreuen die Brunners auf ihrem Betrieb, darunter eine Gruppe Mini-Shetlandponys einer Stiftung, die sich für Tiere in Not einsetzt. Die Mini-Shettys und die Pensionäre, die verletzt oder zu wenig robust sind, bleiben den Sommer über im Tal. Die monatlichen Kosten für den Aufenthalt in Valendas belaufen sich je nach Grösse und Futterbedarf eines Pferdes oder Ponys auf 250 bis 450 Franken plus Ausgaben für Tierarzt, Zahnarzt, Hufpflege und Entwurmung. «Für die meisten Pensionäre ist die Altersweide die letzte Station im Leben, entsprechend einschneidend ist es für ihre Menschen, sie zu uns zu bringen», hält Corina Brunner fest. Laut der Fachfrau ist es für die Besitzerinnen und Besitzer aber beruhigend, die Tiere in guten Händen zu wissen, denn so können sie etwas Abstand gewinnen. Gleichwohl gibt es emotionale Momente. «Wenn zum Beispiel eine Besitzerin ihr Pferd besucht und sie von diesem nicht beachtet wird, ist das nicht einfach», erklärt Corina Brunner und fügt an, dass sich etwa Isländer schnell nur noch auf ihre Gruppe konzentrieren. Dass manche Besitzer ganz darauf verzichten vorbeizuschauen, versteht sie gut. «Sie vertrauen uns und lassen los.» Und irgendwann heisst es für alle, endgültig Abschied zu nehmen vom oft langjährigen vierbeinigen Freund. Denn wenn ein Pferd oder Pony gebrechlich wird, Schmerzen hat und trotz Medikamenten keine Lebensfreude mehr zeigt, wird es vom Tierarzt erlöst. «Wir besprechen dies mit den Besitzern und unterstützen sie», sagt Corina Brunner. «Und wir begleiten die Tiere bei ihrem letzten Gang, der auch für uns sehr traurig ist.» Trotzdem: «Unsere Arbeit ist erfüllend. Zu sehen, wie die Oldies dank artgerechter Haltung nochmals aufblühen, ist der schönste Lohn und macht glücklich.»


Text von Corinne Schlatter (aus Schweizer Landliebe, Ausgabe 4+5/2024)

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